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Wie wir wirken
Von der Sprache beseelt
Impressionen von den Siggener Begegnungen zum Thema "Nachdenken über Sprache - wie wollen und sollen wir sprechen?" vom 22.8 bis 26.8.2022
Ein Bericht von Co-Gastgeber Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt
Wir kamen auf Gut Siggen zusammen, 27 Menschen aus dem Umfeld der Toepfer Stiftung, und nur wenige kannten einander. Aber darum geht es ja in Siggen: Dass Menschen unterschiedlicher Prägung für fünf Tage in kultivierter Geselligkeit zusammenfinden, sich einander in geistiger Auseinandersetzung nähern, umhegt von schöner Natur und großzügiger Gastfreundschaft. Konnten Salons und Gelehrtenrepubliken früherer Zeiten schöner ausgestattet gewesen sein? Wohl kaum! Und doch kommt es letztlich auf die Fähigkeit und die Bereitschaft der Gäste an, die Chance zu einem einmalig intensiven gemeinsamen Gespräch auch zu nutzen.
Über jene fünf Tage, von denen hier Bericht zu geben ist, kann gesagt werden: Es gelang, und es gelang mühelos, ja, es entstanden tatsächlich immer wieder Momente von großer geistig-menschlicher Nähe. Das Sprachenthema mag dazu beigetragen haben, obgleich doch auch gerade darin so mancher Keim heftigen Streits hätte liegen können. Aber mitnichten. Zwar wurden strittige Fragen wie Gendersprache oder auch Kiezdeutsch durchaus intensiv behandelt, aber stets in einer Atmosphäre, in der das Argument zählte, und zwar nicht des Rechthabens wegen, sondern der tieferen Erkenntnis halber. Da solches gelang, konnte sich jeder Gast am Ende selbst in Freiheit, aber bereichert durch teils neue Erkenntnis, seine Meinung bilden.
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Zur Linken das Herrenhaus, zur Rechten das Seminarzentrum Gut Siggen
Dazu trugen an wichtiger Stelle gewiss die Gastgeber und Impulsgeberinnen bei. Mit Prof. Dr. Ernst Osterkamp, dem Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und Emeritus für Neuere deutsche Literatur, begab sich die kleine Gesellschaft auf eine lyrische Erkundungsreise. Tiefes analytisches Verständnis, aber auch erkennbare Leidenschaft des zudem wunderbar Vortragenden zogen jeden Einzelnen in die revolutionäre Dichtung der „Frühlingsfeier“ hinein, jener berühmten Ode Friedrich Gottlieb Klopstocks. Dass in der Nacht darauf heftige Sommergewitter mit Blitz und Donner über dem Gut niedergingen, konnte als Antwort der Natur gedeutet werden. - Der Verfasser dieses Berichts hatte zuvor in einem stellenweise erheiternden Impulsvortrag die Vorzüge der deutschen Sprache porträtiert und damit so manches Vorurteil über diese alte und zugleich quicklebendige Sprache entkräftet.
Doch kann man fünf Tage lang über das noch so reichhaltige und bereichernde Instrumentarium der Sprache sprechen? Das wäre selbst für die anwesenden Sprachbegeisterten des Guten zuviel gewesen. Und so erwies es sich als glückliche Fügung, dass zwei herausragende Musiker, die Brüder Hans-Peter und Volker Stenzel, beide Professoren an der Hochschule für Musik und Theater Rostock, in der Kunst des vierhändigen Klavierduos mit einem eigenen Konzertabend brillierten. Aber überhaupt begleitete steter Klang der glücklicherweise vorhandenen drei Konzertflügel die temporäre kleine Gelehrtenrepublik, sodass Musikalität auf hohem Niveau und echte Sprachbegeisterung ein harmonisches Zusammenspiel erzeugten.
Doch weiter ging es auch mit durchaus kritischen Sprachthemen, zuerst dem Thema des Genderns. In einer sorgfältigen historischen Herleitung referierte Prof. Anne Bohnenkamp-Renken, Direktorin des Freien Deutschen Hochstifts, über die morphologischen und sprachpolitischen Aspekte des Themas, das auf berechtigte gesellschaftliche Anliegen zurückgeht, grammatisch aber problematisch bleibt. Die germanistische Linguistin Dr. Yazgül Șimșek berichtete höchst anschaulich über ihre eigene Einwanderung in die deutsche Sprache und zeichnete ein differenziertes Bild der in den Schulen unserer Einwanderungsgesellschaft vorfindlichen Mehrsprachigkeit wie auch der aktuellen Jugendsprache.
Bestens von dem engagierten Team des Guts Siggen umsorgt, von saftiggrüner Natur und der nahen See umgeben, in guten Gesprächen und klugen Debatten geistig orientiert und von wunderbarer Musik begleitet, reiste die kleine Gesellschaft nach reichhaltigen fünf Tagen etwas wehmütig und zugleich beseelt wieder ab, jene intensive Zeit in guter Erinnerung behaltend.